Die hier vorgebrachten Aussagen zu Nutzungseinheiten gelten nicht nur in Bayern, sondern für alle Bauordnungen, welche sich in dieser Sache nach der MBO richten.
Es geht nicht um Definitionen sondern um Gefährdungen und um Risikobetrachtungen. Das gilt auch für Asylbewerberheime. Dort ist die Gefahr weit größer als bei vergleichbaren Nutzungen.
Gelegentlich wird auf Balkonen ein Lagerfeuer angezündet (in Freising geschehen 1 Toter).
Wir müsse mehr die Risikobeurteilung in den Vordergrund stellen. Nachfolgend die Beantwortung einer Frage in diesem Zusammenhang:
Vorgehen bei der Risikobeurteilung
Nur das strikte Abarbeiten ggf. zutreffenden Bauordnungen oder Sonderbauverordnungen kann nicht als BS- Planung bezeichnet werden.
Die Risikobetrachtung ist abhängig von der Nutzung, den besonderen Gefährdungen und den atypischen Randbedingungen, von denen auch die Schutzziele abhängen.
Auf Grund der Zusammenstellung von Planungsgrundlagen am Anfang von BS- Konzepten werden die Maßnahmenpakete geschnürt. Was bedeutet die Planung wird begründet durch die zutreffenden baurechtlichen bzw. anderen Vorgaben oder die Planungen müssen sich abweichend von den Vorgaben auf das konkrete Bauvorhaben ausrichten, wobei auch Ingenieurmethoden zur Anwendung kommen können.
Wichtig ist zu begreifen, dass die konkreten Nutzungsbedingungen, die sich daraus ergebenen Gefährdungen und besondere Randbedingungen sich immer auf die zu betrachtenden Schutzziele, das Risiko und somit auf die zu treffenden Brandschutzmaßnahmen auswirken.
Die baurechtlichen Vorgaben sind immer nur BS- Konzepte von der Stange. Die BS- Planung erfordert aber die Erstellung von maßgeschneiderten BS- Konzepten.
Nachfolgend das Vorgehen bei der Risikobetrachtung.
1. Schritt der Risikobeurteilung: Gebäudeeinstufung
Die Einstufung hängt von mehreren Randbedingungen ab (z. B. selbstständige Benutzbarkeit von Gebäuden, Höhe des obersten Aufenthaltsraumes, zulässige Fläche und Geschossigkeit von Nutzungseinheiten). Die Einstufung in eine GK ist unabhängig von der Einstufung als Sonderbau. Auch die Geschosszahl von Nutzungseinheiten ist meist nicht begrenzt, was allerdings mit entsprechenden Maßnahmen kompensiert werden muss.
Nachfolgend eine Definition von Begriffen und Randbedingungen, welche bei der Einstufung von Gebäuden zu beachten sind:
• Nutzungseinheiten stehen einer Person, einem gemeinschaftlichen Personenkreis oder einem Betreiber zur Verfügung (ein Betreiber für ein Hotel, eine Schule, ggf. einer Gemeinschaftspraxis oder auch eine Wohnung, siehe auch Kommentare der Bauordnungen).
• Nutzungseinheiten sind definierte Abschnitte, welche räumlich von anderen Nutzungseinheiten getrennt sind, wobei sich die Anforderungen der trennenden Bauteile nach den Gebäudeklassen oder den Sonderbauvorschriften richten.
• Für Sonderbauten ergeben sich an diese trennenden Bauteile ggf. höhere Anforderungen (z. B. Hotels ab mehr als zwei Geschossen oder Versammlungsstätten ab mehr als einem Geschoss grundsätzlich feuerbeständig, Ausnahmen für die obersten Dachgeschosse möglich).
• Maßgebende Fläche von Nutzungseinheiten ist die Bruttogrundfläche. Für die meisten Standardgebäude ist die Größe von auf 200 m² je NE begrenzt, für Büronutzungen 400 m², wenn keine notwendigen Flure vorhanden sind (Art. 34 Abs. 1 BayBO).
• Die zulässige Geschossigkeit von Nutzungseinheiten ist für Standardbauten begrenzt auf nicht mehr als zwei Geschosse (Art. 29 Abs. 1 BayBO).
• In Sonderbauten sind größere Nutzungseinheiten zulässig. Das gilt auch im Zuge von vertretbaren Abweichungen oder grundsätzlich für Großraumbüros.
• Nutzungseinheiten benötigen ein eigenes Rettungswegsystem (siehe auch Art. 31 und 34 Abs. 1 BayBO). Teilnutzungseinheiten dürfen gebildet werden, allerdings nur wegen Entfall von notwendigen Fluren, wobei die Rettungswege dann nicht über benachbarte Nutzungseinheiten führen dürfen (Grundsätzlicher Ausschluss zur Bildung von Teilnutzungseinheiten für Hotels nach der offiziellen Begründung zur Beherbergungsstättenverordnung).
• Gastzimmer in einem Hotel, Versammlungsräume oder Schulklassen sind keine Nutzungseinheiten im Sinne der Gebäudeeinstufung nach Art. 2 Abs. 3 BayBO. Diese Aussage gilt auch für andere Bundesländer.
In Bayern ist die Gebäudeeinstufung nach Art. 2 BayBO Abs. 3 geregelt, woraus sich z. B. für ein 4 geschossiges Hotel (oberster Fußboden mehr als 7 und weniger als 13 m aber nur eine NE z. B. das Hotel mit mehr als 400 m²) die Einstufung in GK 5 ergibt, was formal im Wesentlichen feuerbeständige Bauteile erforderlich macht. Das gilt grundsätzlich auch für die meisten Bundesländer mit „moderner Bauordnung“ (Grundlage Musterbauordnung 2002).
In anderen Ländern können andere Vorgaben bestehen.
In Bayern gibt es z. B. für Schulen eine solche Festlegung, nach der eine Schule eine Nutzungseinheit ist. Lediglich wenn eine Schule aus mehreren Gebäuden besteht, kann jedes Gebäude separat eingestuft werden, wobei die Einstufung in GK 4 nur möglich ist, soweit die einzelnen Gebäude eine Gesamtfläche von weniger als 400 m² aufweisen und die oberste Fußbodenhöhe zwischen 7 und 13 m liegt (siehe im Internet Beantwortung von Fragen bzw. Fragen und Antworten zum Baurecht unter Oberste Baubehörde Bayern).
In der Musterschulbaurichtlinie (in Bayern nicht eingeführt) ist festgelegt, dass bei Geschossausdehnungen von nicht mehr als 400 m² und Höhe des obersten Fußbodens von 7 bis 13 m aufweist, die wesentlichen Bauteile hochfeuerhemmend sein dürfen. Diese Festlegung ändert nichts an der formalen Einstufung in Gebäudeklasse 5, soweit die gesamte Nutzungseinheit Schule größer als 400 m² aufweist.
2. Schritt der Risikobeurteilung: Einstufung des Bauvorhabens als Sonderbau oder nicht
Nach Art. 2 Abs. 4 BayBO handelt es sich z. B. bei Beherbergungsstätten mit mehr als 12 Gastbetten um ein Sonderbau. Es gibt formal keine Sonderbauverordnungen in Bayern soweit nicht mehr als 30 Gastbetten vorhanden sind.
Für nicht geregelte Sonderbauten können zusätzliche Anforderungen erforderlich werden. Auch geringere Anforderungen sind zulässig, wenn es die Gefahrenlage zulässt (Art. 54 Abs. 3 BayBO).
3. Schritt der Risikobeurteilung: Sonderbauvorschrift eingeführt bzw. zutreffend
Für Beherbergungsstätten mit mehr als 30 Gastbetten ist in Bayern die Beherbergungsstättenverordnung anzuwenden, welche zusätzlich zu den formellen Anforderungen aus der Bauordnung und den ETB bzw. Verordnungen für technische Anlagen gilt. Z. B. sind bei mehr als 2 Geschossen sind im Wesentlichen feuerbeständige Bauteile erforderlich und das unabhängig von der Gebäudeeinstufung in eine Gebäudeklasse (siehe auch offizielle Begründung zur Einführung der Beherbergungsstättenverordnung).
In Bezug auf die Gültigkeit von Sonderbauvorschriften und deren Inhalt kann es in den einzelnen Bundesländern andere Vorgaben geben.
4. und wichtigster Schritt der Risikobeurteilung: Betrachtung im Einzelfall.
Das klassische Baurecht geht sehr starr vor. Aus den Gebäudeklassen ergeben sich Anforderungen an Bauteile und Baustoffe, sowie an Rettungswege. Für spezielle Sonderbauten werden eigene Sonderbauvorschriften erlassen. Diese Systematik reicht bis ins vorletzte Jahrhundert zurück und ist nicht mehr zeitgemäß. Eine gute Planung richtet sich an der Schutzzielorientierung aus, was die Bauordnungen der neueren Generationen zulassen (sinngemäße Wiedergabe aus Vortrag Lutz Battran, Brandschutzkongress Februar 2011 in Nürnberg).
Auch der Bundesgerichtshof verlangt in seiner ständigen Rechtsprechung seit Jahrzehnten vom Planer bzw. dem Ingenieur den Nachweis, dass er ein erkennbar objektives Risiko mit geeigneten, am Markt verfügbaren und wirtschaftlich im Verhältnis zum gegebenen konkreten Risiko angemessenen, damit insgesamt zumutbaren Maßnahmen so beplant, dass das erkennbare Risiko sich nach menschlichen Ermessen nicht realisiert oder, falls das doch einmal geschieht, beherrschbar bleibt. Diese Formel hat die Rechtsprechung nicht aus der Luft gegriffen, sie ist zugleich die Definition ingenieurmäßigen Vorgehens.
Es ist dringend an der Zeit, dass Architekten und Ingenieure bei der Gebäudeplanung, erst recht bei der Brandschutzplanung ein eigenes Risikobewusstsein entwickeln (sinngemäße Wiedergabe aus Vortrag von Rechtsanwalt Norbert Küster, Brandschutzkongress 2011 in Nürnberg).
Wenn das vorgegebenen BS- Konzept von der Stange (BayBO+ETB+Verordnungen für Technische Anlagen+zutreffende Technische Regeln+ Sonderbauverordnungen z. B. Beherbergungsstättenverordnung) aus unterschiedlichsten Gründen nicht zur Anwendung kommen soll oder kann, muss ein maßgeschneidertes bzw. schutzzielorientiertes BS- Konzept erstellt werden. In jedem Fall sind die im Planungszeitraum bekannte Gefährdungen zu betrachten, welche in den formal gültigen Vorgaben nicht berücksichtigt wurden (z. B. Versammlungsstätte mit Kälteanlage für die Eisbahn bzw. der Gefahrstoff Ammoniak).
Da z. B. eine gewünschte Holzbauweise in z. B. dreigeschossigen Beherbergungsstätten keine feuerbeständige Bauweise zulässt, was eine wesentliche Abweichung vom gesetzlich vorgegebenen BS- Konzept darstellt, muss zwingend ein schutzzielorientiertes BS- Konzept erstellt werden bzw. ist das BS- Konzept von der Stange anzupassen. Diese Verfahrensweise ist nach § 11 Abs. 3. Satz der Bayrischen Bauvorlagenverordnung zulässig, wobei für Abweichungen von sonst zutreffenden Gesetzen oder Verordnungen des Baurechtes schon aus formellen Gründen Abweichungsanträge zu stellen sind (Art. 63 BayBO). Allerdings ist die Schutzzielerreichung in einem vergleichbaren Schutzniveau sicherzustellen.
Bei der Einzelfallbeurteilung sind alle wichtigen Randbedingungen bzw. die sich daraus ergebenen Gefährdungen zu betrachten. Das trifft natürlich auch für die günstigen Randbedingung zu, wie beispielsweise eine geringe Gebäudeausdehnung oder sehr geringe Brandlast. An den Randbedingungen kann noch gefeilt werden, da die Unterteilung in sehr kleine brandschutztechnisch getrennte Bereiche die Randbedingungen wesentlich verbessern. Das trifft auch für die Anzahl und Lage von Rettungswege zu, wobei wir hier schon bei den baulichen Maßnahmen angelangt sind.
Auf Grund des für das BS- Konzept grundlegenden Randbedingungen kann ein neues BS- Konzept oder Maßnahmenpaket geschnürt werden, welches im Wesentlichen aus den baulichen (einschließlich Gebäudetechnik), betrieblichen, anlagentechnischen und abwehrenden BS-Säulen besteht. Diese Säulen müssen gemeinsam genau so tragfähig sein wie das vorgegebene Standard BS- Konzept, was bedeutet alle zu betrachtenden Schutzziele sind in einem den zutreffenden Vorgaben vergleichbaren Schutzniveau zu erreichen (gesellschaftlich akzeptiertes Restrisiko).
Wenn die bauliche Säule schwächer ausfällt (z. B. nicht wie gefordert feuerbeständige sondern nur feuerhemmende Bauteile aus brennbaren Baustoffen) müssen zusätzliche Maßnahmen eingeplant werden.
Große Abstriche im abwehrenden Brandschutz sind nicht möglich (z. B. 2. RW über Leitern der Feuerwehr in einem dreigeschossigen Hotel mit 58 Gastbetten), wenn nur 30 min Feuerwiderstandsfähigkeit vorhanden ist. Ggf. sollte die Feuerwehr rechtzeitig alarmiert werden, damit das Holzhaus bei Eintreffen der Einsatzkräfte nicht schon voll brennt.
Auch die Mitarbeiter müssen entsprechend geschult werden bzw. über vermeintliche Schwachstellen Bescheid wissen. Jeder Mitarbeiter muss seine Aufgabe im Brandfall genau kennen. Auf alle Fälle müssen alle Gäste und Mitarbeiter im Brandfall rechtzeitig draußen sein, damit die Feuerwehr sich auf das Löschen konzentrieren kan. Besser der Brand sollte im Entstehungszeitraum erkannt werden, um noch mit tragbaren Feuerlöschern das Problem zu lösen.
Das Brandrisiko erhöht sich z. B. bei Holzbauweise nicht unwesentlich. Das hängt nicht nur mit dem brennbaren Baustoff und der ggf. geringeren Feuerwiderstandsfähigkeit zusammen, sondern eher mit der Gebäudetechnik und deren Zündquellen (z. B. Heizung, Elektro). Auch die Hohlräume mit ggf. brennbaren Dämmmaterial in Holzbauten mit den erforderlichen Durchdringungen erhöhen das Risiko der Brandweiterleitung enorm, da in Hohlräumen die Brände später erkannt und nicht so einfach gelöscht werden können.
Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass als Ergebnis der Einzelfallbeurteilung ein schutzzielorientiertes Maßnahmenpaket zu schnüren ist, soweit die formal zutreffenden Vorgaben nicht eingehalten werden oder vom gesellschaftlich akzeptierten Schutzniveau abweichen.
Gruß Norbert Bärschmann