Weiterbetrieb von Aufzügen bei unkritischen Brandereignissen zur Evakuierung

Benutzer_3161

Hallo,

als ich mich vor einiger Zeit mit dem Thema Evakuierung von mobilitätseingeschränkten Personen befasst habe, bin ich auf die VDI 6017 gestoßen. Darin werden verschiedene Konzepte zum Weiterbetrieb von Aufzügen dargestellt. Interessant fand ich das Konzept für Aufzüge der Stufe B. Diese Aufzüge dürfen, wenn die baullichen Vorraussetzungen erfüllt wurden, bei einem unkritischen Brandereignis weiterbetrieben werden.

Mich würde jetzt vor allem interessieren, ob jemand von euch schon einmal damit zu tun hatte, und es in der Praxis tatsächlich Fälle gibt, in denen dieses Konzept angewendet wird.

Ich freue mich über Antworten.

Benutzer_822

wir haben in Karben, etwas nördlich von Hessen, einen Aufzug mit sicherem Strom versorgt, er ist über einen Laubengang und den Treppenraum vom eigentlichen Haus getrennt und der Aufzug wird im Brandfall weiterbetrieben. Der Gedanke ist "so neu", daß etliche Bauherren es sich nicht zutrauen, aber es ist richtig und nötig, auch behinderte retten zu können.

In einer Behinderteneinrichtung in Wicker, westlich von Frankfurt, haben wir deshalb einen Weiterbetriebsaufzug in einem Treppenraum geplant, wurde so ausgeführt, die Rollifahrer können sich dort auch selbst retten.

Die Fachgruppe Brandschutz in der Ingenieurkammer Hessen arbeitet an einer "Planungsrichtlinie", um das System bekannter zu machen und juristisch zu festigen. mfg Schächer / Hessen

Benutzer_465

Hallo Herr Schächer -

wie ist dann die sichere Stromversorgung gemacht? "Sprinklerpumpenschaltung"?

laut TÜV würde da nur eine zweite Stromeinspeisung von einem zweiten Versorgungsnetz ins Haus gehen (oder Batterie....bzw. Notstromdiesel)

Danke.

M. Koeppen

Benutzer_822

wenn es IM Haus brennt ist unwahrscheinlich, daß es gleichzeitig woanders brennt und der Strom ausfällt. Oder regional der Strom ausfällt. Kann alles sein aber das ist unter der "Brandwahrscheinlichkeit" 10 hoch minus 6.

Den Hausanschlußraum mit F 90 Decken und Wänden und T 30 RS Tür gegen das Haus trennen, die "Sprinklerpumpenschaltung" gleich nach der Hauptsicherung und Zähler abzweigen und eigene Sicherungen setzen, eine Feuerwehrabschaltung nur so, daß der Aufzugstrom n i c h t mit abgeschaltet wird, die Leitung zum Aufzug mit F 90 Kanal geschützt, Rauchableiung so, daß Aufzug und Vorraum nicht verraucht werden, am besten Aufzug in einem Treppenraum, das vom Rauch nicht erreicht wird (Lufschleuse davor). Dann kann man sicher fahren bis alle draußen sind. Inzwischen bauen wir einen Schulaufzug so, um die Inklusionskinder retten zu können. mfg Schächer

Benutzer_203

Auf europäischer Ebene wurde eine technische Regel aufgestellt die auch in Deutschland eingeführt wurde.

DIN CEN/TS 81-76:2011-10; DIN SPEC 69281-76:2011-10

(zu finden im Beuth Verlag mit Suchwort 81-76)

Aus meiner Sicht kann sie aber nicht als "anerkannte" Regel der Technik angesehen werden, da ich mehrere Diskussionen kenne, die mit der Regel nicht einverstanden sind. Siehe hierzu auch

http://www.agbf.de/pdf/Protokollauszug_Evakuierungsaufzuege%2003_2012.pdf

Ich hatte mich mit jemanden Unterhalten, der sich sehr intensiv mit Feuerwehraufzügen auskennt und sich auch mit Evakuierungsaufzügen beschäftigt hat.

Bei der Verwendung von im Bestand vorhandenen Aufzügen gibt es eine ganze Menge zu beachten. Hierzu nur mal ein paar Stichpunkte die erhalten hatte:

- Leistungsfähigkeit einer Ersatzstromversorgung (Hoher Anfahrstrom)

- Gefahr eines Kurzschlusses durch eindringendes Löschwasser in den Fahrschacht mit plötzlichem Stillstand (z. B. durch einen Schlauchplatzer wenn eine Angriffsleitung am Evakuierungsaufzug vorbei verlegt wird)

- geeignete Evakuierungsvorrichtungen zur Befreiung aus dem Aufzug wen sich dieser nicht mehr weiter fahren lässt und Personen im Rahmen einer Evakuierungsfahrt festsitzen.

Das ist nur ein kleiner Auszug.

Bei einem Aufzug, wie Herr Schächer ihn beschrieben hat, sind die meisten Punkte wohl erledigt.

Wenn also eine Möglichkeit zum Anbauen besteht, Abstand zum Gebäude, Zugang über freien Luftstrom etc.) dürfte es wohl kein großes Problem sein.

MfG

Wolfgang Cordier

Benutzer_822

Sehr geehrterHerr Cordier, ich sehe wohl die Probleme, alleine: mir fehlt ein Lösungsansatz. Wenn wir Integration und Inklusion wollen (europ Recht !) können wir bei der Evakuierung Behinderter nicht auf dem Uraltstand bleiben : die Feuerwehr mögle die menschen aus dem fünften Stock herunter tragen ... Auch der behinderte hat Anspruch auf Selbstrettung und da kann die SREGEBAU nicht sagen : "wir sind aber dagegen". Auch die Sperrung des Feuerwehraufzuges, solange die Feuerwehr noch nicht da istr, statt Evakuierungsfahrten zu unternehmen, ist ein Unding. Das ist Arroganz pur, denn sichere Aufzüge dienen der Menschenrettung, nicht nur der Feuerwehr.

Und nur Feuerwehraufzüge zu bauen, um alle Behinderte aus den oberen (und unteren) Geschossen zu holen, ist nicht bezahlbar und der Sache nicht angemessen.

Wir brauchen s i c h e r e Aufzüge. Und wenn der Aufzug IN einem Treppenraum fährt, ist er erst mal genau so sicher wie eine Treppe.

"Steckenbleiben" ist immer schlecht und da sind die Aufzugbauer gefordert, bezahlbare Lösungen zu finden, z.B. mit Batterie-Steuerstrom und Schwerkraft bis zur nächsten Ebene zu fahren und dort die Türen zu öffnen.

Bei einem Brand IM Haus fällt normalerweise der öffentliche Strom nicht aus, also kann ich mit einer geschützten Stromversorgung an der hausversorgung vorbei hier mit Strom weiter fahren.

Alle Eventualitäten abzudecken oder garnichts zu tun ist die falsche Alternative. Wir stellen auch keine Sprieße auf die Straße weil der Himmel einstürzen könnte (frei nach Obelix). Wir nehmen ein gewisses Risiko auf uns und suchen Lösungen, die ARGEBAU blockt hier oft ab. Und manches mal schaut sie weit weg - wie beim WDVS aus Polystyrol. mfg Schächer

Benutzer_203

Hallo Herr Schächer,

ich bin da ganz bei Ihnen. Vernünftige Lösungen müssen her.

- Sprinklerschaltung - kein Problem

- bei Kurzschluss Abfahrt in das nächste Geschoss - kein Problem

Ich bin sicher, dass es eigentlich für alles Lösungen gibt. Ob die in Bestandsgebäuden und Bestandaufzügen umzusetzen sind weiss ich nicht.

Auch aus meiner Sicht sind hier die Aufzugbauer gefordert, händelbare Lösungen zu finden.

Mir liegt die VDI 6017 leider nicht vor, so dass ich hier nur allgemein auf Punkte hinweisen kann, die evtl. zu berücksichtigen sind, wenn man einen Aufzug zu solchen Zwecken nutzen möchte.

MfG

Cordier

Benutzer_3145

Eine interessante Diskussion.

Wenn ich allerdings lese "... wenn es IM Haus brennt ist unwahrscheinlich, daß es gleichzeitig woanders brennt und der Strom ausfällt. Oder regional der Strom ausfällt. Kann alles sein aber das ist unter der "Brandwahrscheinlichkeit" 10 hoch minus 6" und "Sprinklerschaltung - kein Problem" kommen bei mir Bedenken auf.

Schutzzielorientiert betrachtet sind diese Annahmen und Feststellungen alleine für sich betrachtet völlig nachvollziehbar.

Allerdings wird hier der umgekehrte Fall nicht betrachtet:

Fällt der Strom aus, steigt rein statistisch die Brandwahrscheinlichkeit erheblich - dieses Phänomen ist leider praxiserprobt.

Zudem nehmen Stromausfälle eher zu als ab und aufgrund der Energiepolitik wird auch die 100kV-Ebene nicht mehr aus sicher gewertet.

Wurde dies in Ihre Betrachtungen mit einbezogen?

Sehen Sie dies nicht auch als problematisch an, wenn nicht mit Sicherheitsstromversorgungen gearbeitet wird?

Mfg D. Krell

Benutzer_822

wenn wir den Weiterbetrieb von Aufzügen mit zusätzlichen Forderungen verteuern wird es k e i n e geben. Und das ist der allerschlechteste und riskanteste Fall (Behinderte runter tragen ...). Alles im Leben ist eine Abwägung zwischen Kosten und Nutzen. mfg Schächer

clammer

Man sollte immer die ganze Kette betrachten; wenn, wie in vielen Fällen, für die Druck- oder Spüllüftung und/oder die Entrauchung eine Stromversorgung mit der "Sprinklerschaltung" ausreichend ist, stellt sich die Frage, ob das für die "sicheren Aufzüge" nicht auch ausreichend ist.

Auch sollte man sich den Zeitablauf anschauen; der Feuerwehraufzug soll ja auch noch nach Eintreffen der Feuerwehr (Hilfsfrist i.d.R. 8 min!) und während der Brandbekämpfung noch funktionieren; zu diesem Zeitpunkt sollte die (Selbstrettung) eigentlich langsam abgeschlossen sein.

@Cordier

SPEC 69281 hat den Status einer Vornorm!

Die Normenreihe EN 81 ist in Deutschland bauordnungsrechtlich nicht eingeführt.

Eine "Abfahrt" ins nächste Geschoss ist, zumindest bei Seilaufzügen, in der Regel schwierig; aufgrund der physikalischen Gesetze wird es sich eher um eine "Auffahrt" handeln.

Gruß

C. Lammer