Hallo mc.greg,
jetzt geht´s leider tief in die Paragraphenkiste. Generell reden wir nur von barrierefreien Gebäuden. Da sind wir uns einig. Leider muss ich Ihnen danach widersprechen.
Zunächst einmal richtet sich das BGG hauptsächlich (was das bauliche betrifft) an öffentliche bzw. Bundesbauten (s. nachfolgende Paragraphen).
Weiterhin sind dort folgende Begriffe verwendet:
"Zugänglich" ---> Barrierefrei rein (nicht raus!)
"in allgemein üblicher Weise nutzbar" ---> Zweckbestimmte Nutzung, alles, was im Gebäude im NORMALfall passiert. Hierzu gehört nicht der Brandfall (dieser sollte doch die Ausnahme sein).
In allen Bauordnungen und auch im BGG steht nämlich eben nicht das Wort "Verlassen" oder ein äquivalent hierzu.
Würde es ein Anrecht auf einen "eigenständig, ohne fremde Hilfe selbst zu nutzenden ersten Rettungsweg" geben, müsste dieser für alle Menschen mit Behinderungen gleich nutzbar sein. Wohin muss/soll dieser Rettungsweg denn führen? Ins Freie wie es die Bauordnung fordert? Oder in einen sicheren Bereich mit Wartezone? Dann ist dies kein bauordnungsrechtlich konformer Rettungsweg.
1. Beispiel:
In einem (barrierefreien, mit Farbkontrastierung und Bodenleitsystemen) Multiplex-Kino gibt es Plätze für Rollstuhlfahrer. Die Behindertenwerkstatt XYZ macht einen Ausflug in das Kino zu einem spannenden Film. In der Gruppe von 5 Mann sind ein Blinder, zwei Rollstuhlfahrer und zwei geistig behinderte Personen. Wie sollte hier der erste Rettungsweg aussehen, wenn dieser von ALLEN Personenkreisen selbstständig ohne Hilfe genutzt und aufgefunden werden können muss?
2. Beispiel
Pflegeheim. Wenn der erste Rettungsweg für alle Menschen mit Behinderung selbstständig ohne Hilfe genutzt werden kann, wie kommt der Bewohner mit hohem Querschnitt ins Freie oder "nur" in einen anderen Brandabschnitt? Die Betreuungsrichtlinie fordert sogar eine UNTERSTÜTZE Rettung in einen anderen Bereich. Würde es die Forderung nach einem selbstständig nutzbaren Rettungsweg geben, wären dann z.B. die KhBauVO oder die Betreuungsrichtlinie entgegen dem Gesetz?
Aus diesem Grunde werden Sie in keiner Vorschrift etwas zur Ausbildung eines selbstständig nutzbaren ersten Rettungswegs für Menschen mit Behinderung finden. Auf Grund der Vielzahl der Behinderungsarten könnte dieser überhaupt nicht für alle das Gebäude THEORETISCH nutzenden Menschen mit Behinderung ausgebildet werden. Selbst in den Überarbeitungen der Muster-Sonderbauverordnungen wird auf die ORGANISATORISCHEN (nicht baulichen!)Maßnahmen zur Rettung von Menschen mit Behinderungen hingewiesen und eingegangen. Selbst die DIN 18040 spricht hier von organisatorischen Maßnahmen.
Selbstverständlich sollte immer eine Selbstrettung angestrebt werden. Verpflichtend, da schlichtweg in den meisten Fällen nicht umsetzbar, ist diese jedoch nicht.
Auf jeden Fall müssen Maßnahmen zur Rettung von Personen mit Behinderungen geplant werden. Dies ist frühzeitig zum Prozess anzuregen.
Wenn Sie hier Urteile haben, wäre ich über einen Link dankbar. Nach Rücksprache mit unserem Fachbereich barrierefreies Planen ist diesen auch kein solches Urteil bekannt.