Unabhängigkeit der Rettungswege / notwendiger Flur

Benutzer_2713

Guten Tag zusammen,

man stelle sich folgende Fallgestaltung bspw. in Bayern vor:

In einer Nutzungseinheit > 200 m² (keine Büro- und Verwaltungsnutzung) ist ein Aufenthaltsraum, als „gefangener Raum“ vorhanden. Die maximal zulässige Entfernung zu einem Ausgang ins Freie wird jeweils eingehalten. Es wird kein notwendiger Flur im Verlauf der „Rettungswege“ ausgebildet, da ja kein Flur vorhanden ist.

Fall 1:

Der Aufenthaltsraum liegt innerhalb einer Halle (nach BayBO, nicht nach IndBauRl) und hat einen Ausgang in die Halle. Die Halle hat zwei Ausgänge ins Freie.

Fall 2:

Der Aufenthaltsraum verfügt über zwei Ausgänge in zwei verschiedene Räume und von diesen Räumen jeweils über einen direkten Ausgang ins Freie.

Stellt diese Ausführung eine Abweichung von BayBO Art. 31 ERSTER UND ZWEITER RETTUNGSWEG Abs. (1) dar? Ist die Unabhängigkeit der beiden Rettungswege verletzt? Ist ggf. eine Abweichung von Art. 34 NOTWENDIGER FLUR erforderlich, da hierdurch die Unabhängigkeit erreicht würde?

Oder bezieht sich die Unabhängigkeit der Rettungswege nicht auf die Rettungswegführung innerhalb desselben Geschosses derselben Nutzungseinheit?

Danke!

Grüße

Sven Schäfer

Benutzer_1795

Ich habe mich schon immer gefragt, wie es IN einer Nutzungseinheit überhaupt gefangene Räume geben kann. Dann wäre in jeder Wohnung ein gefangener Raum. In unserem Büro liegt mein Büro an einer Verkehsrfläche, die kein notwendiger Flur ist. Im Brandfall muss ich also aus meinem Büro in eine "brandlastbehaftete Zone". In dieser könnten sogar Kopierer stehen. Nun wird das Chefbüro nur über ein Sekretariat erschlossen. Wo ist hier der brandschutztechnische Unterschied? In beiden Fällen führen die Rettungswege über nicht gesicherte Bereiche. Das ist in einer Nutzungseinheit ohne notwendige Flure nun mal so.

Die BayBo hat einen etwas anderen Text, als die anderen Bauordnungen. In NRW bräuchten Sie z.B. keinen notwendigen Flur, da Sie keinen Flur ausbilden. Hier wären die Varianten so ohne Abweichung möglich (Wenn Flur vorhanden, DANN notwendiger Flur).

Bezüglich der speziellen Formulierung und Erfordernis in Bayern, mögen die bayuvarischen Kollegen sich äussern. Mit gefangenen Räumen (übrigens nur im Arbeitsrecht definiert) hat dies m.E. jedoch nichts zu tun.

vonhof

Wobei das in Bayern nicht anders ist als in NRW. Gefangene Räume gibt es in den Bauordnungen nicht. Sie sind eine alte Erfindung der Branddirektion München, die es irgendwie ins Arbeitsstättenrecht geschafft hat. Wie, ist mir nicht begreiflich.

Es gibt auch keine Abweichung von Art. 31. Vollkommen richtig liegt der Bezug der unabhängigen Rettungswege auf die Rettungswege der Nutzungseinheit und nicht innerhalb der Nutzungseinheit.

Bei Sonderbauten kann das natürlich ein wenig anders aussehen.

Gruß

Alexander Vonhof

Benutzer_2713

Vielen Dank für Ihre Antworten. Eine Nutzungseinheit mit 1600 m2, zwei Ausgängen, Entfernung bis zum Ausgang ins Freie nicht mehr als 35 m entspricht somit der BayBO selbst wenn innerhalb der NE "Gefangene" Aufenthaltsräume liegen und die Rettungswege innerhalb der NE nicht über notwendige Flure führen. Sehe ich dies richtig?

Hannes

Hallo Herr Schäfer,

ich schließe mich Ihrer Meinung an.

Rettungswege nach Bauordnung sind das eine, Fluchtwege nach ASR das andere.

Auszug ASR A2.3 Fluchtwege und Notausgänge

3.4 Gefangener Raum ist ein Raum, der ausschließlich durch einen anderen Raum betreten oder verlassen werden kann.

6 (10) Gefangene Räume dürfen als Arbeits-, Bereitschafts-, Liege-, Erste-Hilfe- und Pausenräume nur genutzt werden, wenn die Nutzung nur durch eine geringe Anzahl von Personen erfolgt und wenn folgende Maßgaben beachtet wurden:

Sicherstellung der Alarmierung im Gefahrenfall, z. B. durch eine automatische Brandmeldeanlage mit Alarmierung

oder

Gewährleistung einer Sichtverbindung zum Nachbarraum, sofern der gefangene Raum nicht zum Schlafen genutzt und eine geringe Brandgefährdung im vorgelagerten Raum gegeben ist.

Wenn keine BMA vorhanden hilft die Sichtverbindung, das handhaben wir (erfolgreich) bei Meisterbüros, Pausenräumen usw. innerhalb Produktions- und Lagerhallen seit Jahren so...

Gruß

Hannes

vonhof

Der Witz ist ja: Auch ein notwendiger Flur ist letztendlich erst einmal nur ein Raum. Also liegt nach der Definition in der ASR auch dann ein gefangener Raum vor, wenn dieser ausschließlich über einen notwendigen Flur erschlossen wird.

Da saßen in dem Ausschuss ein paar Leute, bei denen rechtssicheres Formulieren wohl nicht zum Hobby gehört. Sieht man auch noch an ein paar anderen Stellen in der ASR.

Und was soll man letztendlich von einer Richtlinie halten, die inhaltlich (sowohl dem Gegenstand als auch der Formulierung nach) nicht sauber ist? Das führt wohl eher zu einer Miss- als zu einer Beachtung.

Gruß

Alexander Vonhof

Benutzer_2713

Meines Erachtens spaltet sich die Brandschutzfachwelt in zwei Lager:

1. Die Sorte, welche versucht nur das zu lesen, was tatsächlich in den Bauordnungen steht. Hieraus ergibt sich bspw. die o.g. Nutzungseinheit nach Bauordnung ohne notwendige Flure.

2. Die Sorte, welche jeden Aufenthaltsraum über einen notwendigen Flur erschließen möchte und alternativ nur eine Unterteilung in NE bzw. Teilnutzungseinheiten mit Trennwänden zulässt. Hierzu zähle ich auch die meisten unteren Bauaufsichtsbehörden, welche von der Regierung von Oberbayern beraten werden.

Ich würde mich zur ersten Sorte zählen und finde es mittlerweile äußerst mühsam, bei jedem Bauvorhaben dies diskutieren zu müssen. Zum Thema notwendiger Flur hat sich ja glücklicherweise mittlerweile auch die Argebau eindeutig geäußert

http://www.bauministerkonferenz.de/verzeichnis.aspx?id=17217&o=759O986O991O17217

Da die Bauaufsichtsbehörden äußerst beratungsresistent sein können, wollte ich nach weiteren Argumentationshilfen, bspw. ein Schreiben der OBB, fragen. Ich weiß, dass die Auffassung der 2. Sorte auch noch bei verschiedenen Fachfortbildungen gelehrt wird. Wie gehen Sie mit diesem "Problem" um?

brandsicher

Da habe ich noch eine ergänzende Frage: Ist für die von Herrn Schäfer Beschriebene Nutzungseinheit eine Abweichung von Art. 31 Erster und zweiter Rettungsweg (1) BayBO erforderlich, wenn die Nutzungseinheit nur Ausgänge ins Freie hat?

m.f.G.

U. Drechsler

Benutzer_2713

Guten Abend,

Ich denke die angesprochene Thematik ist essentiell für das Erarbeiten von Brandschutznachweisen und Konzepten.

Gibt es zu meinem letzten Beitrag und zum Beitrag von Herrn Drechsler keine weiteren Meinungen?

Grüße

Sven Schäfer

brandsicher

Hallo Herr Schäfer, da hat wohl jeder so seine feste Meinung, insbesondere, wenn er sich mit dem Wirrwar der gesetzlichen Regelungen abgefunden hat. Und das scheinen mir insbesondere die zu sein, die jede Änderung des Erlernten fürchten, wie der Teufel das Weihwasser.

m.f.G.

U. Drechsler

Benutzer_2713

Hallo Herr Drechsler,

die eingefahrenen Meinungen wird es wahrscheinlich immer geben, jedoch kann man Versuchen den gemeinsamen Nenner in einer Diskussion etwas zu vergrößern. Der Brandschutz steht in der Öffentlichkeit ohnehin schon in keinem guten Licht. Wenn sich die Fachwelt bei einer der grundlegendsten Fragen des Brandschutzes schon nicht einig ist, wird sich das nicht verbessern.

Es ist doch ein rießiger Unterschied, ob zwei unabhängige Rettungswege für jeden Aufenthaltsraum einer Nutzungseinheit oder nur für jede Nutzungseinheit nachzuweisen sind!

Freundliche Grüße

Sven Schäfer

brandsicher

Hallo Herr Schäfer, Die Forderung nach zwei Rettungswegen für jeden Aufenthaltsraum halte ich ja für besonders exotisch – ist mir noch nie vorgekommen. Dass der in Art. 31 BayBO geforderte Rettungsweg erst am Ausgang aus der Wohnung beginnt, wenn nicht der 2. RW über Gerät der FW führt, dann auch dort, wird schon hin und wieder angezweifelt. Und da Art. 31 BayBO keine Anforderungen an die Gestaltung des Rettungsweges innerhalb der Nutzungseinheit (Wohnung) stellt, hat er dort zwar den gleichen Namen, aber wohl eine andere Bedeutung.

m.f.G.

U. Drechsler

Benutzer_2713

Danke Herr Drechsler für Ihre Beiträge,

Die Dikskussion beginnt erst bei Nutzungseinheiten, welche keine Wohnungen und größer als 200 m² bzw. 400 m² bei einer Büro- und Verwaltungsnutzung sind. Falls ein Aufenthaltsraum innerhalb einer NE (bis bspw. 1600 m² => kein Sonderbau) nicht über einen notwendigen Flur an die vertikalen Rettungswege oder direkt ins angeschlossen ist, wird bei Prüfung durch die untere Bauaufsicht die Ausbildung eines notwendigen Flures, ein direkter Ausgang ins Freie oder die Unterteilung der NE mit Trennwänden gefordert. Das Vorgehen der Sachbearbeiter, welche bei meinen Projekten durch die Regierung von Oberbayern beraten werden, ist hierbei immer dasselbe. Es wird jeder Aufenthaltsraum eizeln betrachtet.

Das Resultat ist, dass ein Brandschutznachweis bei Prüfung durch die untere Bauaufsicht im Endeffekt nicht genehmigungsfähig ist und bei einem anderen Prüfer ohne "Auflagen" bescheinigt wird. Das kann es doch nicht sein.

mfg

Sven Schäfer

brandsicher

Hallo Herr Schäfer, das liegt wohl immer am Sachverstand. Prüfingenieure haben sich in der Regel aus Sachverständigen, Beamte möglicherweise aus Untertanen entwickelt.

Ich kenne da jemanden, der sogar für eine Übernachtungsmöglichkeit für Spargelstecher in einer, zugegeben aus DDR-Zeiten stammenden erdgeschossigen Baracke (Ausbau mit Gipskarton, alle Zimmer mit Fenster, aus denen sich jedenfalls ein Bayer retten könnte, und in allen Räumen Heimrauchmelder) die folgende Ablehnung begründen konnte:

„Die Anforderungen des Abschnittes 3, §§ 14 bis 21 BbgBO an Bauprodukte und Bauarten baulicher Anlagen werden nicht eingehalten.

Weiterhin erfüllt die vorhandene bauliche Anlage die Anforderungen an die Feuerwiderstandsdauer wesentlicher Bauteile nach §§ 24 bis 27 BbgBO nicht und die Rettungswege nach § 29 BbgBO sind nicht gesichert.

Die Zweibettzimmer im Giebelbereich des Gebäudes werden nicht ausreichend mit Tageslicht beleuchtet, das Rohbaumaß der Fensteröffnungen unterschreitet das Mindestmaß von einem Achtel der Grundfläche des Raumes. (§ 40 Abs. 2 BbgBO)“

m.f.G.

U. Drechsler

LaNie

Die Problematik ist auch, dass z.B. einige Kommentare zur BayBO (Molodowsky/Farmers/Kraus oder auch Hillesheim/Linow) genau das Gegenteil interpretieren, wie es die Auslegungshilfe der Bauministerkonferenz aussagt. Komischerweise wird dieses sogenannte "Regel-Ausnahme-Verhältnis" m.E. sonst auch nirgends in den Brandschutz-Artikeln der BayBO verwendet und ist für mich somit auch nicht logisch.

Beide Ansichten sind letzendlich unverbindlich und so schlagen auch andere untere Bauaufsichtsbehörden, nicht nur die in Oberbayern, in den Kommentaren nach.

Abgesehen davon, würde dass ja konsequenterweise auch dazu führen, dass ggf. in Verkaufshallen (

Benutzer_2713

Sehr geehrter Herr Nierobis,

wie geht denn Ihr Beitrag weiter? Da Sie in nicht allzu weiter Ferne agieren würde mich interessieren wie Sie mit diesem Thema umgehen.

Vielen Dank

Sven Schäfer