Evakuierungszeiten

NickHribal

Hallo Forum,

Für den Neubau einer Schule führe ich derzeit eine Evakuierungssimulation durch. Dies ist erforderlich, da die Rettungswegbreiten nicht nach den allgemeinen Bemessungsgrundsätzen dimensioniert werden sollen.

Als Vergleichswerte für Evakuierungszeiten habe ich sehr unterschiedliche Angaben gefunden.

Eine Quellenangabe der EIPOS-Unterlage von Dr.-Ing. Friedrich Mehl zum Thema "Grundlagen der Ingenieurmethoden im baulichen Brandschutz" verweist auf die Vorschrift 163/88 der seinerzeigiten staatlichen Bauaufsicht der DDR... veröffentlicht im Mitteilungsblatt der staatlichen Bauaufsicht, Heft 5 aus dem Jahr 1988

hier werden 6- 8 Minuten angegeben.

Hat diese Vorschrift oder das Mitteilungsblatte zufällig jemand in digitaler Form?

Das Handbuch zur Evakuierung von Klaus Müller gibt, abhängig von dem zu evakuierenden Gebäude, einen Maximalwert von 4 Minuten an. Die Werte die angegeben werden, werden als wissenschaftlich begründet geführt.

4 Minuten und 6-8 Minuten ist schon ein ordentlicher Unterschied.

Meine Vergleichssimulationen, mit Rettungswegbreiten nach allgemeinen Bemessungsgrundsätzen, ergaben einen Wert von 6 Minuten wobei 600 Personen auf drei Treppenräume a 1,60 m gleichmäßig verteilt wurden und aus dem 2. OG flüchten sollten. Das gleiche Szenario aus einem 4. OG würde allein schon aufgrund der Lauflänge höhere Werte ergeben.

Hat jemand Erfahrungswerte in der Bewertung von Evakuierungszeiten oder gute Literaturhinweise?

Besten Dank im vorraus.

Benutzer_2865

Hallo N. Hribal,

m.E. gibt lediglich die DIN EN 13200 die o.a. Zahlenwerte von 6 bzw. 8 Minuten an. Die maximal zulässige Stauzeit von 1 Minute an Ausgängen, wurde von Dr. Mehl das erste Mal auf den Braunschweiger Brandschutz-tagen 2004 dargestellt. Die Vorschrift 163/88 habe ich leider nicht, bei den meisten TGL-Normen (auch die Brandschutz TGL 10685) kommt man auf untenstehenden Link weiter:

http://tgl-archiv.de/archiv.html

Gruß

mc.greg

Feuer-Hewi

Hallo N. Hribal,

es ist richtig, es gibt hier viele Ausarbeitungen, die sich nur annhähern;

Die TGL 10 6854 Teil 4 von 1963 (hätte ich) sagt was aus;

dann gibt es eine Veröffentlichung von STRULIK "Simulation von Fußgängermengen in normalen Situationen und im Evakuierungsfall

von Prof. Dr. Dirk Helbing, TU Dresden" von 2000

eine VFDB Veröffentlichungen von 2/86 von Dpl.Ing. John von der Forschungsstelle Karsruhe,

Diplomarbeit von Frau Monika Haas an der TU Wien, von 2003,

Untersucheungen von U. Schneider, M. Oswald, C. Lebeda, Wien

und einiges mehr, inkl. Simulationsberechnungen (aber auf welcher Basis?);

ob es schon eine EN oder ISO dazu gibt, weiß ich nicht;

interessant ist, dass für die neue M-VStättV das Thema Tür und 0,6 m Schritte/100 Personen fallen gelassen hat, da dies nicht wissenschaftlich belegt ist; neuer Ansatz wird dort aber auch nicht angeboten!?

d.h.: wohl weiter suchen und das, was plausibl erscheint auswählen?!

mfg

der Feuerteufel

clammer

Der Vollständigkeit halber, die DIN EN 13200 sieht als Zeiten für das Erreichen eines "gut passierbares Ausgangssystem" höchstens 2 (!) Minuten in Gebäuden und 8 Minuten im Freien vor.

Richtig ist, dass der Entwurf der Änderung der MVStättV keine feste Staffelung mehr vorsieht; ob da Interpolieren ausreicht, wird sich zeigen ...

Gruß

C. Lammer

Benutzer_822

die wesentliche Zeit ist zum einen : w a n n s t a r t e n die Schüler, gibt es einen Querkopf unter den lehrern, der erst seine Arbeit fertig schreiben lassen will ...

in einer Schule mit heftigen Brandschutzmängeln hatte der Direktor seine Lehrer angewiesen, wirklich sofort zu räumen, um die Schüler nicht zu gefährden. Und die waren (mehrfach und über etliche jahre hinweg) nach 1 1/2 bis 2 Min draußen. Aus einer wirklich großen Schule. Es geht, wenn man will ! mfg Schächer

Mattes

Mhhh,

ich hatte vor Jahren bei einigen Kindergärten in meinen Stellungnahmen eine Evakuierungszeit von 10 min vorgegeben, also die Zeit, nach der im Brandfall voraussichtlich die Feuerwehr eintrifft.

Ich musste aufgrund heftiger Proteste der Betreiber diese Anforderung aufgeben, zumal baurechtlich keine belastbare Rechtsgrundlage für diese Anforderung vorliegt (nach Auffassung der Bauaufsicht).

Wie auch immer man meine Vorgehensweise oder die Haltung der Bauaufsicht nach den Widersprüchen der Betreiber betrachten mag: es hat mich sehr nachdenklich gestimmt, dass für Kindergärten Evakuierungszeiten von 10 Minuten nicht nachgewiesen werden konnten/sollten. Sicher spielten hier auch Gedanken an die Haftung eine Rolle...

Die Palette der Erfahrungen hinsichtlich der Räumungszeiten von Kindergärten erstreckt sich von Zeiten von 2 Minuten bis über 10 Minuten.

Insofern hätte ich so meine Zweifel an der Evakuierungssimulation für eine Schule, weil offenbar in vergleichbaren Situationen ganz unterschiedliche Ergebnisse bei den Übungen herauskommen können.

Und diese Ergebnisse hängen, wie von Herrn Schächer schon richtig dargestellt, am gelebten oder eben nicht gelebten organisatorischen Brandschutz bzw. an Personen in einer solchen Einrichtung.

Daher würde ich mich bei der Bemessung von Rettungswegen (noch) nicht auf Evakuierungssimulationen stützen...

Gruß

Matthias Bußmann

Benutzer_822

Herr Bussmann, wenn es in einem Raum brennt, muß dieser innerhalb von 2 Min "kinderfrei" sein oder die Pimpfe atmen den Rauch ein. Und anschließend sind zeitnah die angrenzenden udn dann die weiterenRäume zu leeren. Wenn wir im Kindergarten aus allen Räumen mit direktem Ausgang ins Freie kommen, wie das sein soll ("Kindergartenprinzip") dann sehe ich das auch als machbar an. Ich bin bei Seminaren auch schon gerüffelt worden - ich bleibe aber dabei: wenn die Organisation nicht klappt, wenn nicht genug geübt wird oder wenn die Verantwortlichen erst mal gründlich nachdenken wollen, was denn so zu tun sei statt sofort zu räumen, geraten die Kinder in Gefahr. Und das geht nicht. Hier muß man konsequent fordern: der Brandraum sofort frei, der gesamte Kindergarten erdgeschossig in 5 Minuten, mit Obergeschoß: raus auf den Rettungs- (Flucht-) Balkon in 2 Min, runter zum Sammelplatz in allerspätestens 8 Minuten (für die Treppe 6 Min über alle Kinder angesetzt). Bei Kleinstkindern ist das eine Herausforderung ! Aber ohne Übung geht garnichts und die blöde Behauptung "es geht doch nicht" heißt nur, dass man sich weigert, wirklich zu üben. Dass die ersten Räumungsversuche länger dauern ist doch kein Problem aber dann muß man dranbleiben, bis es besser ist. Ich "übe" mit meinem zwei Enkeln (gut 1 und gut 2 Jahre) und sehe direkt, was da geht udn was nicht. mfg Schächer

clammer

Hallo N. Hribal,

zum Nachlesen und -denken ;-))

VDMA Informationsblatt Nr. 3 "Entrauchung von Räumen im Brandfall"

Dort finden sich auch Berechungsmethoden zur Räumungszeit.

Gruß

C. Lammer

Benutzer_822

nach Lektüre des Blattes komme ich zu dem Schluß, daß in diesen Kindergärten (um beim Beispiel zu bleiben) keine Rauchwarnmelder montiert sind (mit Rwm: Alarmierungszeot rund 1 Minute), Fluchtfälle n i c h t geübt wurden (mit Übung ca. 1 Min Bedenkzeit, keine 3 Min) und die Räume nicht direkt verlassen werden können ("Kindergartenprinzip", alle Aufenthaltsräuem mit direkter Fluchttür), dann nur 0,5 bis 1,5 Min.

Wer als Betreuer 3 Min Reaktionszeit braucht, wenn in seinem Raum im Kindergarten ein Brand ausbricht, ist für diese Tätigkeit nicht geeignet. Der muß so lange üben, bis das in 1 Min klappt oder sich einen anderen Beruf sucht. Weil er Kinder in Gefahr bringt !

Wenn man Feuer erkennt, muß man sofort den Kindern sagen: wir verlassen j e t z t den Raum durch die Tür in den Spielgarten. Und dann geht man los. Und die 2 Betreuer, die für bis zu 12 Kleinstkinder da sind, müssen ebenfalls sofort anfangen, die Kinder rauszubringen.

Wir sollten aufhören, den Diplombedenkenträgern zu glauben, daß alles nur ein bürokratisches Spiel ist, bei dem Jedermann mit Geduld und Nachsicht behandelt werden muß. Ein Brandfall in einem Raum ist für die Betroffenen eine unmittelbare Lebensgefahr. Und die wird nur durch Ü b u n g und entschlossenes Handeln gemindert. Dem müssen sich alle Verantwortlichen stellen, wenn sie sich nicht an den Kindern schuldig machen wollen.

Es wäre fatal, sich hierfür Entrauchnungsanlagen aufschwätzen lassen zu wollen. Die brauchen wir für andere Dinge ! mfg Schächer

clammer

Hallo Herr Schächer,

für Kindergärten und Schulen (wie in der Frage) sehe ich das auch so; deshalb hatte ich mir auch den Hinweis mit dem "Nachdenken" erlaubt.

Zum Ihrem letzten Absatz seit angemerkt, dass es bei den für Kindergärten und Schulen üblichen Geschosshöhen eh keine wirksamen Entrauchungsanlagen gibt, die die Flucht sicherstellen. Insofern begrüße ich das Ansinnen der ARGEBAU, hier in den Sonderbauvorschriften eine einheitliche Sprachregelung herbeizuführen.

P.S. Wer sich eine meines Erachtens vorbildliche Organisation anschauen möchte, kann dies im Kinderland einer bekannten Schwedischen Möbelhauskette tun.

Gruß

C. Lammer

Benutzer_2921

Das beste Brandschutzkonzept nützt nichts, wenn Lehrkräfte, Pädagogen und Erzieher/innen nicht auf die Notfälle vorbereitet werden.

ich habe neulich in einem Kindergarten eine Räumungsübung organisiert. Ein kleiner Disconebel - Generator hat den Flur verqualmt. Eine Erzieherin wollte mit den Kindern aus dem Gruppenraum heraus da durch. Mehrere Kinder wiesen sie darauf hin, dass der Rauch giftig sei und man doch auch durch die andere Tür direkt nach draußen gehen könne.

Der rote Klebezettel mit der Aufschrift "TOT", den ich ihr draußen dann an die Jacke geklebt habe, machte die gute Frau dann doch nachdenklich.

Benutzer_822

das war Spitze ! Üben, üben, üben, sonst klappt es nicht. Einer solchen "Toten" muß man nicht böse sein, sie muß halt noch ein paar mal ü b e n. Ich schlage meistens vor, 4 x im Jahr zu üben, bis es klappt, dann kann man auf 2 Übungen p.a. zurückgehen.

Wenn ab und zu mal die Feuerwehr kommen kann, kann das Üben auch Spaß machen, weil die Kinder issen, dass es etwas zu bestaunen gibt. mfg Schächer