Hallo Herr Gärtner,
die BV mittlerer Schwierigkeit lassen wir mal aus, weil hier muss der Entwurfsverfasser sich mit Sicherheit Gedanken über den Brandschutz machen, und die Rechtslage wird dann tatsächlich hochkompliziert (was muss der Entwurfsverfasser wissen, was nicht?). So muss der Entwurfsverfasser hier z. B. erkennen, dass bei einem Wohngebäude mittlerer Höhe besondere Rettungsgeräte der Feuerwehr erforderlich sind und muss ggf. erfragen, ob diese zur Verfügung stehen. Deshalb fordert der Gesetzgeber für die Bauvorlagenberechtigung ja auch den Listeneintrag, welcher nur erfolgt, wenn der Bauvorlagenberechtigte seine Kenntnisse im Brandschutz nachgewiesen hat oder über ein mindestens 10-jährige Erfahrung verfügt.
Aber die BV geringer Schwierigkeit heißen nicht umsonst so. Und der Bauvorlagenberechtigte hat nur nachzuweisen, dass er einen geeigneten akademischen Titel besitzt und drei Jahre beim Planen von Gebäuden zugeguckt hat, dann kann und darf er loslegen.
Und wenn man jetzt zum Beispiel den Kommentar von Jäde/Dirnberger... zur Hand nimmt, so kann man nachlesen (Art. 2 Rd. 96 "Funktion der Dreigliederung"), dass die Schnittstelle der einzelnen Vorhaben "..zwischen denjenigen Bauvorhaben [verläuft], denen das materielle Entscheidungsprogramm der Bauordnung typischerweise zugeordnet ist (Wohnungbau, kleineres und mittleres Gewerbe, herkömmmlicher landwirtschaftlicher Betrieb) einerseits, denjenigen Bauvorhaben, die bauordnungsrechtlichen Genehmigungsverfahren allein unterworfen werden, weil für sie keine anderes "Trägerverfahren" gibt und für die - wegen ihrer besonderen Anforderungen, auch wegen der mit ihnen einhergehenden besonderen Risiken und Gefahren - das materiell rechtliche Standardprogramm der Bauordnung mindestens in der Regel nicht paßt, sondern jeweils ein bausicherheitrechtliches und -technisches Konzept maßgeschneidert werden muss".
Also auf deutsch: Die Dreigliederung ergibt sich als
BV ger. Schw. - Anwendung BauO - keine weiteren Kenntnisse
BV mittl. Schw. - kein Trägerverfahren - erweiterte Kenntnisse
Sonderbau - besondere Risiken und Gefahren - besondere Kenntnisse
Bei einem BV geringer Schwierikeit liegen definitionsgemäß keine besondere Gefahren vor und es ist nur die BauO anzuwenden. Und wenn die Bauaufsicht ein Gebäude als BV ger. Schw. einstuft, so ist eine besondere Gefahr aus der Art der Nutzung ausgeschlossen.
Und so entsteht eine ähnliche Situation wie beim Löschwasser: Die Gemeinde muss die Grundsicherheit im abwehrenden Brandschutz sicherstellen. Und darunter fällt, dass die Feuerwehr eine Rettung (2. RW) über ihre Rettungsgeräte vorzunehmen hat. Und darüber hinaus hat sich der Entwurfsverfasser keinen weiteren Gedanken darüber hinzugeben, ob er einen zweiten baulichen Rettungsweg benötigt (es sei denn, nicht alle Räume oder Nutzungseinheiten können nicht durch die Feuerwehr angeleitert werden).
Und auch der Art. 57 Abs. 2 greift hier nicht. Denn wenn der Entwurfsverfasser nicht in der Lage ist, ein typische (also ein "nicht atypisches") Gebäude (wäre es atypisch, wäre es als Sonderbau einzustufen) selbständig nach den Vorgaben der BauO abzuarbeiten, so dürfte er das Gebäude überhaupt nicht bearbeiten, weil ihm dann von vorne herein die Grundlagen für eine Bearbeitung fehlen.
Wir können auch noch einen Blick in die BauVorlV werfen. Nach § 14 Abs. 1 hat der Entwurfsverfasser nur anzugeben (!), wie der zweite Rettungsweg hergestellt wird (weitere Treppen oder erreichbare Stellen). Erst bei einem Sonderbau und bei Abweichungen (§ 14 Abs. 2) muss er die Rettungswegbreiten und -längen berechnen und Einzelheiten der Rettungswegausbildung angeben.
Die Baugenehmigungsbehörde ist Herr des Baugenehmigungsverfahrens. Daher meine Auffassung: Kommt die Bauaufsicht zu dem Schluss, ein Gebäude ist ein Bauvorhaben geringer Schwierigkeit, so ist die Bauordnung in ihren Grundlagen anzuwenden, und nichts anderes. Kann die Feuerwehr alle Nutzungseinheiten anleitern (und das muss sie bei Gebäuden geringer Höhe immer), so ist kein zweiter baulicher Rettungsweg erforderlich. Alle anderen Artikel der BayBO, z. B. auch der 57, greifen erst später. Denn die Bauordnung stellt nicht nur materiell ein Brandschutzkonzept für typische Bauwerke dar, sondern ist auch eine Ermächtigungsgrundlage für besondere Lösungsansätze und für Sonderbauten, die nicht mehr baulich-materiell über die Bauordnung abgedeckt werden.
Und das im Brandschutz schon mal was schief geht....das liegt meistens daran, dass der Entwurfsverfasser die Bauordnung nicht ausreichend beherrscht. Es gibt sogar Architekten, die haben in ihrem Büro keine Bauordnung. Ich frage mich dann immer, wonach die eigentlich planen...? Und so sieht der Brandschutz dann auch aus.
Schöne Grüße
Alexander Vonhof