Hallo Norbert,
sorry, aber das ist Ventilieren auf hohem Niveau.
Schutzziel hin oder her; letztendlich wird das Schutzziel durch die Bauordnung festgeschrieben, die auch eine "Mindererreichung" durchaus zulässt. Würde immer alles dem absoluten "Schutzziel" untergeordnet, dann wären die Türen zum Treppenraum (natürlich) T 90 und jede Wohnung hätte (natürlich) einen zweiten baulichen Retungsweg (neben der (natürlich) erforderlichen Sprinklerung)...
Man kann sich mit dem "Schutzzielgedöns" (sorry) die Welt schönreden oder auch einfach machen - wenn man es hinterher nicht verantworten oder bezahlen muss. Daher konkretisiere ich den Fall von Frau Schade wie folgt (das Beispiel ist bewusst konstruiert, aber vielleicht wird dann einiges deutlich):
Im Rahmen der Abnahme des Gemeinschaftseigentums einer Wohnanlage (80 Wohnungen in 8 Häusern) stellt ein Bau-Sachverständiger folgenden Mangel fest:
"Die eingebauten Freilauftürschließer der Wohnungstüren sind nicht nach Ziffer 4.1.3 der "DiBt-Richtlinien für Feststellanlagen, Stand 1988" vernetzt; an oberster Stelle der Treppenräume ist zudem kein Rauchmelder montiert".
Auf Nachfrage kommt von ihm noch die Aussage, "dass es sich bei einem Treppenraum doch um einen "durchgehenden Schacht in einem mehrgeschossigen Gebäude" handeln würde und "es doch so in der Richtlinie steht". (Den Begriff Schutzziel kennt er nur aus seinem Schützenverein).
Da derzeit Freilauftürschließer eingebaut sind, die nicht vernetzbar sind, und auch keine Vorkehrungen (Kabel etc.) dafür getroffen wurden, werden im ersten Anschlag Mangelbeseitigungskosten von ca. 120.000 EUR geltend gemacht. Dieser Betrag setzt sich zusammen wie folgt:
Austausch Türschließer: 80 x 250.- = 20.000
Leitungsverlegung etc.: 8 x 2.000 = 16.000
Schlitzen der Treppenraumwände+Verputzen: 8 x 10.000 = 80.000
Rauchmelder an der Decke: gibt´s gratis dazu.
Das Geschrei ist nun groß:
Der Bauträger zuckt mit den Schultern und zeigt auf seinen Planer.
Dem Planer wird ganz schlecht. Die ausführende Firma sagt: "Das hamma noch nie gemacht". Der Malermeister freut sich insgeheim. Alle (bis auf den Malermeister) zeigen den Schaden schonmal bei ihrer Versicherung an.
Die Eigentümer sind natürlich total verunsichert. Weil es ja nun so gefährlich in diesen Häusern ist, werden fünf Eigentümer nicht einziehen; sie berufen sich auf einen erheblichen Mangel nach VOB. Vertragsstrafen werden fällt. Für die fünf übernimmt der Bauträger schonmal die Miete für die nächsten Monate (immerhin 6.000 EUR monatlich). Weitere vier (bei denen es finanziell ohnehin knapp war) wollen gleich den Kaufvertrag rückabwickeln.
Wie immer wird ein Einbehalt in dreifachter Höhe der Mangelbeseitigungskosten von der letzten Rate angezogen (360.000 EUR). Davon wollte der Bauträger eigentlich die restlichen Rechnungen bezahlen (natürlich die der Handwerker, der Porsche ist sowieso geleast).
Eigentümer und Bauträger bemühen nun Anwälte. Die Anwälte des Bauträgers klagen auf Zahlung der letzten Rate. Es geht vor Gericht (auch wegen anderer Dinge). Und so nimmt dieser "Mangel" immer mehr ein Eigenleben an.
Jetzt bist DU als Brandschutzsachverständiger vor Gericht gefragt:
Liegt hier ein Mangel vor?
Wenn ja:
Welche Maßnahmen sind zur Mangelbeseitigung erforderlich?
Welche temporären Maßnahmen sind erforderlich, damit eine sichere Nutzung der Wohnungen bis zum Abschluss der Mangelbeseitigung möglich ist?
So, und hier stelle ich die Schutzzielfrage nochmals. Jetzt sollte sich jeder genau überlegen, was er zu diesen Fragen auf´s Papier bringt. Und ob auch hier und vor diesem Hintergrund ein "Schutzzielgedöns" richtig am Platz ist.
Gruß
Werner Müller