Hallo Tilnehmer
Ich wollte den Finger in die Wunde legen. Das ist mir offensichtlich gelungen. Gegen die vorgebrachte These gibt es viele Gegenargumente (leider nur gegen). Deshalb drehe ich den Finger in der Wunde nochmal!
1. Schutzzielbetrachtung nicht immer sondern nur für besondere Gebäudearten erforderlich?
Grundsätzlich verstehe ich die Bauordnung so, dass immer eine Schutzzielbetrachtung erforderlich ist. Deshalb stehen die Schutzziele immer an erster Stelle (Abs. 1) jeder Anforderung.
Von den festgelegten Anforderungen darf man grundsätzlich abweichen (Art. 63 BayBO oder vergleichbarer § der anderen Bauordnungen), von den Schutzzielen nicht.
Bei den Normalbauten kann die Schutzzielbetrachtung im Kopf und schnell durchgeführt werden. Bei Sonderbauten oder wenn Abweichungen vorkommen, sollte diese schriftlich erfolgen. Je komplizierter das Gebäude je mehr Aufwand, da vom vorgegebenen BS- Konzept (der Bauordnung) abgewichen wird. Es gibt Sonderbauten für die kein vorgegebenes BS- Konzept vorhanden ist oder die Randbedingungen weichen stark von diesem ab.
2. Maße sind wichtig damit man sich daran orientieren kann! Sind sonst die Fachplaner überfordert?
Im Bezug auf die Maße aus der Bauordnung an denen viele hängen einige Beispiele.
? Ein Gebäude mit ungeschützter Außenwand und Fensteröffnungen oder eine industriell genutzte Halle ohne Feuerwiderstandsfähigkeit der Außenwand steht in einem Abstand von 2,5 m zur Grundstücksgrenze. Direkt an dieser Grundstücksgrenze darf in Bayern 100 m? Holz oder andere noch leichter entzündbare Brandlast wie z. B. 100 m? Papierballen gelagert werden (geregelt in der VVB).
? Papierballen mit einem Volumen von 3 000 m? können 10 m von einem Tanklager entfernt gelagert werden.
? 2 Einfamilienhäuser mit Dachüberstand jeweils bis direkt an die Grundstücksgrenze sind unter bestimmten Bedingungen zulässig, wenn die Gebäudeaußenwände jeweils 2,5 m von der Grundstücksgrenze entfernt sind
? Löschwasserversorgung bei einer Hallenfläche von ca. 2000 m? gefordert nach IndBauRL 1600 l/min. Auf dem Betriebsgelände sind aber ca. 10 000 m? Papierballen
? Rettungsweglänge nach Baurecht aus einer 400 m? Büronutzung mit vielen gefangenen Räumen 35 m zulässig, Turnhalle mit 2 baulichen Rettungswegen ins Freie (keine Versammlungsstätte, keine abgetrennten Räume) Rettungsweglänge ca. jeweils 40 m nicht zulässig
? Rettungsfensterabmessungen in Bayern 60 x 100 zulässig, in Sachsen 70 x 110 konkrete Gefahr, in München 90 x 90 unter bestimmten Bedingungen erhebliche Gefahr für Leben und Gesundheit in Heidelberg zulässig
? Nutzungseinheiten mit bis zu 99 Nutzern und 400 m? kein Sonderbau, 2. Rettungsweg unter Bestimmten Bedingungen durch Anleiterung über Leitern der Feuerwehr zulässig
Diese Beispiele könnten unendlich erweitert werden. Ich will nur darlegen, dass nur stures umsetzen von Maßvorgaben die Schutzzielerreichung nicht sicherstellen.
3. Kann es überhaupt funktionieren ohne feste Maße in den Gesetzen und Verordnungen?
In allen anderen Bereichen, wie im Arbeitsschutzrecht, dem Gefahrstoffrecht, dem Umweltschutzrecht, dem Störfallrecht gibt es keine materiellen Anforderungen mehr in Gesetzen oder Verordnungen. Dort werden ausschließlich Schutzziele vorgegeben. In technischen Regeln gibt es allerdings noch Maße, welche aber nicht zwingend eingehalten werden müssen.
Der Gesetzgeber hat erkannt, dass die Festlegung im Einzelfall unter Berücksichtigung der jeweiligen sich auch verändernden Bedingungen vom Betreiber (oder beauftragten Planer) festzulegen ist. Hie ergibt sich übrigens eine Möglichkeit oder Verdiestquelle für die Brandschutzplaner, da die kleinen Betriebe Hilfe brauchen.
Ein Grund für den Rückzug des Staates liegt auch am politischen Willen mit dem Ziel der Deregulierung. Dazu würde es auch passen die Vorschriften weiter zu verschlanken (auch die Bauordnungen). Ein paar Jahre dürfen die Brandschutzplaner noch üben. Ausbildungseinrichtungen gibt es mittlerweile viele.
Die oft bemängelte Sturheit der Behörden, welche nach Planerangaben mit der Anzahl der Abweichungen von baurechtlichen Vorschriften steigt, erledigt sich dann auch von selbst.
Gruß Norbert Bärschmann