Autor: Norbert Bärschmann Hallo Teilnehmer
In Ergänzung des genannten Artikels habe ich für mich die unterschiedlichen Abweichungsmöglichkeiten, unter Berücksichtigung auf die Behandlung im BS- Nachweis mal aufgeschrieben, also quasi als Selbststudium. Wenn ich bei meinen Ausführungen auf dem Holzweg bin, freue ich mich über Hinweise.
Arten von Abweichungen:
? Abweichungen von Anforderung der eingeführten technischen Baubestimmungen
? Abweichungen von Anforderungen aus den Verwendbarkeits- oder Anwendbarkeitsnachweisen
? Abweichungen von materiellen Anforderungen aus den Landesbauordnungen/Sonderbauverordnungen
? Genehmigte Abweichungen im Bestand
1. Abweichungen von den eingeführten technischen Baubestimmungen
Beispielsweise ist die Leitungsanlagenrichtlinie, ergänzt durch eine in Bayern spezifische Anlage, in der Liste der in Bayern eingeführten technischen Baubestimmungen enthalten. Dasselbe gilt übrigens für die Richtlinie für brandschutztechnische Anforderung an Doppelböden oder Systemböden, die Lüftungsanlagenrichtlinie, die Richtlinie für Flächen für die Feuerwehr, die DIN 4102, um nur ein paar aus brandschutztechnischer Sicht wichtige technische Baubestimmungen zu nennen.
Wenn technische Baubestimmung in einem Bundesland bauaufsichtlich eingeführt sind, so sind diese einzuhalten oder es sind gleichwertige Maßnahmen zu treffen um die Schutzziele der Landesbauordnungen umzusetzen. Dazu gehört auch eine entsprechende Dokumentation im BS- Nachweis. Nicht eingeführte technische Baubestimmungen oder Normen brauchen in dem entsprechenden Bundesland auf Grundlage des Baurechtes nicht zwingend umgesetzt werden. Abweichungsanträge sind in beiden Fällen nicht erforderlich.
Wenn andere Rechtsfelder betroffen sind, wie Arbeitsstätten-, Umweltschutz- Gentechnik-, Atom- oder Gefahrstoffrecht, müssen auch nicht eingeführte Baubestimmungen oder andere Technische Regeln umgesetzt werden bzw. sind entsprechende Kompensationsmaßnahmen vorzusehen. Ggf. ergeben sich auch zivilrechtliche Anforderungen, welche erfordern dass der Stand der Technik umzusetzen ist. Das kann auch nicht eingeführte technische Baubestimmungen betreffen.
Abweichungen von eingeführten technischen Baubestimmungen, welche sozusagen Musterbrandschutzkonzepte oder Teile von Brandschutzkonzepten für besondere Nutzungen sind, sollten vergleichbar wie Abweichungen von materiellen Abweichungen von den Bauordnungen oder Sonderbauordnungen behandelt werden, obwohl grundsätzlich keine Abweichungsverfahren erforderlich sind. Zu nennen sind in diesem Fall die Industriebaurichtlinie, die Kunststofflagerrichtlinie, die Löschwasserrückhalterichtlinie.
Sonderfall Industriebaurichtlinie:
Am Beispiel von Industriebauten stellt sich die Rechtslage in Bezug auf Abweichungen folgendermaßen dar:
Industriebauten weichen in der Regel immer von den Verhältnissen in Wohn- und Bürogebäuden ab. Deshalb handelt es sich um Sonderbauten im Sinne der Landesbauordnungen. Weitergehende Anforderungen können erforderlich werden um die Schutzziele der Bauordnungen umzusetzen.
Vom Grundsatz her müsste der Bauherr für Sonderbauten ohne Sonderbauverordnung ein Vorhaben bezogenes BS- Konzept erstellen. Damit ergibt sich immer eine planerische Unsicherheit bis zur Genehmigung durch die Behörde (Prüfung durch Behörde oder Prüfsachverständiger). In Abhängigkeit vom Sachverstand der Brandschutzplaner und Prüfer ergaben sich unterschiedliche Anforderungen solche Gebäude. Diese Probleme sind durch die Einführung der Industriebaurichtlinie beseitigt worden, vor allem ist eine einheitliche Betrachtung sichergestellt. Industriebauten werden anderen ?geregelten Sonderbauten? gleichgestellt. Diese Richtlinie ist von Bauherren und Genehmigungsbehörden gleichermaßen zu beachten.
Auf Grund der Nutzung sind folgende Erleichterungen aus dem Bereich des vorbeugenden baulichen Brandschutzes möglich:
? Feuerwiderstandsfähigkeit der Bauteile
? Größe der Brandabschnitte oder Brandbekämpfungsabschnitte
? Anordnung, Lage und Länge der Rettungswege
Zusätzlich werden vor allem Anforderungen an den vorbeugenden anlagentechnischen-, betrieblich/organisatorischen- und den abwehrenden Brandschutz umzusetzen sein (siehe Ziffer 5 der RL). Außerdem ergeben sich zusätzliche Anforderungen des vorbeugenden baulichen Brandschutzes in Bezug auf die Ausführung von Brandwänden Außenwänden und Dächern.
Wie von anderen eingeführten technischen Baubestimmungen oder Sonderbauordnungen kann man auch von der Industriebaurichtlinie abweichen. Das setzt aber voraus, dass durch andere Maßnahmen die Umsetzung der Schutzziele des Baurechtes sichergestellt werden. Die Richtlinie schränkt den Nachweis auf die nächst höhere Nachweisstufe ein bzw. hat der Antragsteller die Wahl eines von den drei vorgegebenen Nachweisverfahren anzuwenden. Das heißt, wenn die Anforderungen aus dem Tabellenverfahren (Nachweisstufe 1) nicht eingehalten werden können, ist das vereinfachte Rechenverfahren nach DIN 18230 (Nachweisstufe 2) oder der Nachweis mit ingenieurmäßigen Rechenverfahren durchzuführen (Nachweisstufe 3). Die Anforderungen an ingenieurmäßige Verfahren sind im Anhang 1 zur Richtlinie festgehalten.
Vom Grundsatz her gilt die Industriebaurichtlinie für entsprechend genutzte Gebäude ab einer Fläche von mehr als 1600 m? (siehe auch Geltungsbereich). Die Richtlinie kann auch zur Begründungen von Erleichterungen oder Abweichungen bei anderen Gebäuden Verwendung finden (außer Erleichterungen in Bezug auf die Rettungswege), wenn diese mit dem Brandrisiko von Industriebauten vergleichbar sind (z. B. KFZ Handel). Um die Erleichterungen der Industriebaurichtlinie in Anspruch zu nehmen, muss das komplette ?Muster BS- Konzept? bzw. die materiellen Anforderungen aus Ziffer 5 und 6 ggf. auch aus Ziffer 7 der Richtlinie umgesetzt werden.
Im BS- Nachweis/Konzept nachzuweisen, dass die Schutzziele trotz abweichender Ausführung von allen eingeführten technischen Baubestimmungen erfüllt werden.
Sonderfall Abeichungen von der DIN 4102 Teil 4:
Bei wesentlichen Abweichungen von Anwendbarkeitsnachweisen für geregelte Bauarten entsprechend der DIN 4102 Teil 4, was ebenfalls eingeführte technische Baubestimmungen sind, wird auf nachfolgende Besonderheiten hingewiesen (siehe Abweichungen von Verwendbarkeitsnachweisen oder Anwendbarkeitsnachweisen).
2. Abweichungen von Verwendbarkeitsnachweisen oder Anwendbarkeitsnachweisen
Die Anforderungen an Bauprodukte und Bauarten sind in den Bauordnungen im Abschnitt Bauprodukte Bauarten und in der Bauregelliste geregelt. Bei wesentlichen Abweichungen von den Verwendbarkeitsnachweisen aus der Bauregelliste (bei geregelten Bauarten von Anforderungen der DIN 4102 Teil 4) ist eine Zustimmung im Einzelfall bei der Obersten Bauaufsichtsbehörde zu beantragen.
Die Feststellung ob die Abweichung nun wesentlich oder nicht wesentlich ist wird in der Regel vom Hersteller des Bauproduktes oder vom Errichter der Bauart getroffen. Im Zweifelsfall ist ein Prüfinstitut oder das Deutsche Institut für Bautechnik zu beteiligen, da diese die Reserven der Bauteile oder Bauarten auf Grund der Prüferfahrung kennen.
Entscheidend ist dass die Bauteile trotz abweichender Bauausführung die Schutzziele, wie z. B. die erforderliche Feuerwiederstandsdauer, erreichen.
3. Abweichungen von den Landesbauordnungen/Sonderbauverordnungen
Grundsätzlich sind beim Bauen die jeweiligen Bauordnungen und ggf. die zutreffenden Sonderbauverordnungen einzuhalten.
Das Baurecht bzw. die zutreffenden baurechtlichen Vorschriften können nicht immer eingehalten werden. Das trifft vor allem beim Bauen im Bestand zu. Weicht man von materiellen Anforderungen ab liegt eine Abweichung vor.
Das Bedeutet es muss nachgewiesen werden, dass mit der abweichenden Ausführung oder durch zusätzlichen Schutzmaßnahmen die jeweiligen Schutzziele erreicht werden. Dazu ist ein begründeter Abweichungsantrag zwingend erforderlich, welcher von der zuständigen Behörde oder dem Prüfsachverständigen zu beurteilen ist (Zustimmung oder Ablehnung)
Für den Brandschutznachweisersteller oder Planer ist nicht zuletzt wegen haftungsrechtlicher Gründe wichtig alle Abweichungen von baurechtlichen eingeführten Vorschriften zu erkennen und diese bei der zuständigen Behörde oder beim Prüfsachverständigen zu beantragen.
Der Planer kann sich nicht darauf verlassen, dass Fehler oder nicht beantragte Abweichungen vom Prüfer erkannt werden. In diesem Zusammenhang wird darauf verwiesen, dass bei Gebäuden, bei denen der Brandschutznachweis nicht geprüft wird die Abweichungen im wahrsten Sinne des Baurechtes ?zementiert? werden. Das heißt nicht das damit Bestandsschutz erwächst, sondern es geht dann um haftungsrechtliche Probleme ggf. auch um strafrechtliche wenn dadurch im Brandfall Menschen zu schaden kommen.
4. Vorhandene/genehmigte Abweichungen im Bestand
Bei genehmigten bzw. bestehenden Gebäuden sind die vorhandenen Abweichungen ebenfalls aufzuzählen. Bei Änderungen in den betreffenden Bereichen ist vom BS Nachweisersteller darzulegen, warum diese bereits genehmigten Abweichungen noch vertretbar sind.
Es wir darauf verwiesen, dass nur bereits genehmigte Abweichungen
Bestandsschutz bis zur nächsten Änderung in diesem Bereich haben (wenn keine erhebliche Gefahr für Leben und Gesundheit der Nutzer besteht). Nicht genehmigte Abweichungen, welche sich bei Umbauten eingeschlichen haben, haben keinerlei Bestandsschutz.
Vom Prüfer (zuständige Behörde oder Prüfsachverständiger) ist zu klären ob neue bzw. bereits vorhandenen Abweichungen ?Schwachstellen? unter Berücksichtigung der geplanten Änderungen noch vertretbar sind. Dass trifft vor allem zu, wenn zusätzliche Abweichungen durch die neuen Nutzungen dazu kommen.
Norbert Bärschmann