Rettungswege im Industriebau auf höhergelegenen Ebenen

Benutzer_433

Hallo Forum,

ich habe eine Frage zu den Rettungswegen im Industriebau auf höhergelegenen Ebenen.

Auf einer Galerieebene befindet sich eine Lehrwerkstatt. Aus meiner Sicht ist dies kein untergeordneter Raum gemäß Pkt 3.5 der Industriebaurichtlinie, unabhängig von der Fläche der Galerieebene oder der Lehrwerkstatt, sondern stellt für mich aufgrund der Nutzung ein Geschoss dar.

Darf dieses Geschoss über zwei offene Treppen erschlossen sein, die durch den gleichen Luftraum führen und auf dem Hallenboden enden? Eine Sichtverbindung in die Halle ist gegeben. Oder muss der Rettungsweg auf dieser Ebene in einem Treppenraum, einem anderen Brandabschnitt oder einem anderen Brandbekämpfungsabschnitt geführt werden (schwierig, da es ein bereits bestehendes Gebäude ist).

Wenn die zwei offenen Treppen zulässig sind, wie lang darf der Rettungsweg abhängig von der mittleren lichten Höhe sein? Da der Rettungsweg teilweise über die Galerieebene geführt wird, weiter über eine offene Treppe und im weiteren Verlauf über den Hallenboden zu einem Ausgang ins Freie (anteilige Längen variieren stark).

Ermittle ich die mittlere lichte Raumhöhe von der Galerieebene bis zum Dach (würde ?bis zu 5 m? ergeben) oder gibt es noch andere Möglichkeiten (interpolieren), da der Rettungsweg größtenteils auf dem Hallenboden verläuft.

Im Voraus vielen Dank für Eure Meinungen!

Mit freundlichen Grüßen aus Neuss

Reiner Gärtke

vonhof

Hallo Herr Gärtke,

mit der Geschoss-Einstufung möchte ich Ihnen, so wie sie es beschreiben, zustimmen.

Ich denke, das die Rettungswegführung im Übrigen nicht abschließend geregelt ist. Grundsätzlich dürfen nach BauO NRW die Rettungswege innerhalb einer Nutzungseinheit über Treppen führen, die nicht in einem eigenen Treppenraum liegen. Maßgebend ist dann sozusagen alleine die Entfernung, die bis zu einem Ausgang ins Freie oder in einen Treppenraum zulässig ist. Auch die IndBauRL fordern nicht direkt, sondern höchstens - wenn überhaupt - indirekt einen Ausgang aus dem Obergeschoss in einen Treppenraum. Ansonsten sind zwei bauliche Rettungswege erst bei Industriebauten mit einer Grundfläche > 1.600 m? gefordert. Die tatsächlichen Anforderung ergeben sich also letztendlich aus dem Brandschutzkonzept.

Die zulässige Rettungsweglänge ergibt sich aus Nr. 5.5.6 IndBauRL ziemlich eindeutig. Sicherlich kann bei einer Flucht von einem niedrigeren Raum in einen höheren eine "Sonderregelung" gefunden werden, die aber zustimmungsbedürftig ist. Auch hier kann ich nur auf das Brandschutzkonzept verweisen, dessen Vorlage bei solchen Gebäuden in NRW in aller Regel Pflicht ist.

Gruß

Alexander Vonhof

Benutzer_99

Autor: EIS Hallo Herr Vonhof

Hallo Kollegen

Das Thema Geschossigkeit nach IndBauRL Tab. 1 ist für mich gerade bei einem laufenden BV von grossem Interesse. Der erste Anlauf mit Abweichungs-antrag bei der Behörde ist missglückt.

Von dort bekam ich zunächst die Nachricht, am Wechsel von Geschossigkeit ist grundsätzlich eine Brandwand (ohne Abweichungsmöglichkeit) erforderl.

Mittlerweile wurde (u.a. wegen geplanten Kranbahnen) eine Abweichung in Aussicht gestellt.

Ich weiss, das Thema ist nicht ganz neu im Forum.

Frage 1:

Liegt tatsächlich bei geplantem Wechsel der Geschossanzahl innerhalb eines Brandabschnitts immer eine Abweichung vor, auch wenn die einzelnen Abschnitte einen Feuerwiderstand nach Tab. 1 haben und noch so klein sind ?

Oder gibt es Argumentationen / Kommentare / Urteile zur IndBauRL, dass man sich z.B. über vorh./zul. Flächenverhältnisse im Rahmen der Schutzziele (Sicherung von Löschangriffen) befindet und die IndBauRL erfüllt ist.

Frage 2:

zu Ziff. 3.5,Geschosse >> "untergeordnete Räume innerhalb eines Raumes, die in funktionalem Zusammenhang zu diesem Raum stehen, z.B. Meisterbüro".

Geplant sind 3 Büroräume auf einer Zwischendecke (mit Flur und Treppe ca. 150 m?) in einer F0-Stahlhalle (angrenzender Raum 500 m?)am Ende der Halle.

Die Trennwand Büro/Halle geht jedoch vom Dach bis zur Bodenplatte durch.

Bedeutet "innerhalb eines Raumes", dass die Trennwand im EG weg muss, damit der Hauptraum unter das Büro reicht ?

Sind 3 Büroräume in funktionalem Zusammenhang noch solche Meisterbüros ?

Muss eine Sichtverbindung zum Hauptraum sein?

Vielen Dank im voraus

Erich Sauter

Benutzer_433

Hallo Herr Vonhof,

vielen Dank für Ihren Beitrag. Hatte die Hoffnung auf eine Antwort fast schon aufgegeben. Meine Meinungsfindung habe ich noch nicht ganz abgeschlossen. Habe heute eine ?Leitlinie für die Festlegung zulässiger Flucht- und Rettungsweglängen in der Automobilindustrie? aus dem Jahre 1990 in die Hände bekommen. Diese wurde unter Beteiligung von Vertretern der Länder u. zuständigen Behörden erarbeitet (z.B. mit Temme). In ihr ist eine ganz interessante Skizze enthalten. Aus einem Meisterbüro auf einer Bühne musste ein ?Verkehrsweg? (analog dem heutigen Hauptgang) nach 15 m erreichbar sein. Der Rettungsweg wurde einfach horizontal vom Ausgang des Meisterbüros bis zum Verkehrsweg gemessen. Vorhandene Treppen wurden vernachlässigt. Dadurch bin ich jetzt zu folgendem vorläufigen Entschluss gekommen:

1. Geschoss nach Pkt. 3.5 der IndBauR: Mittlere lichte Raumhöhe von Galerie bis zum Dach, entsprechende Rettungsweglänge, Führung des Rettungsweges in Treppenraum oder Brand- / Brandbekämpfungsabschnitt (sonst Abweichung von § 35 MBO / § 37 BauO NRW).

2. Kein Geschoss nach Pkt. 3.5 der IndBauR: Kleinerer Raum (max. 400 m?) innerhalb eines deutlich größeren Raumes, Mittlere lichte Raumhöhe von Hallenboden bis zum Dach, entsprechende Rettungsweglänge, Führung des Rettungsweges nach 15 m (horizontal) auf Hauptgang im Erdgeschoss.

3. Kein Geschoss nach Pkt. 3.5 der IndBauR: Raum größer 400 m?, ordnet sich flächenmäßig dem größeren Raum nicht unter, Mittlere lichte Raumhöhe von Galerie bis zum Dach, entsprechende Rettungsweglänge, Führung des Rettungsweges auf Hauptgang oder ins Freie.

Für weitere Anregungen oder Einzelfallentscheidungen bin natürlich jederzeit offen.

Mit freundlichen Grüßen aus Neuss

Reiner Gärtke

Benutzer_433

Hallo Herr Sauter,

auch wenn ich Ihr BV nicht genau kenne, eine Forderung nach einer Brandwand bei einem Wechsel der Geschossigkeit ist mir nicht bekannt. Darüber hinaus verstehe ich diese Forderung auch nicht.

Vielleicht sollten Sie erst einmal mit der Behörde klären, ob diese die 3 Büroräume als Geschoss ansieht. Dann könnte man weiter planen. Wenn die Büros eine funktionale Verbindung zum Boden haben sehe ich eine Möglichkeit (Ermessensspielraum des Sachbearbeiters). Dann könnte die gesamte Konstruktion ohne Anforderungen erstellt werden (Falls Geschoss, dann gemäß Tabelle 1 in F 30, allerdings die gesamte Stahlhalle!).

Das mit der Trennwand verstehe ich leider nicht. Befinden sich die geplanten Büros noch gar nicht in der Halle?

Eine Sichtverbindung wäre erforderlich, wenn der Rettungsweg durch den Luftraum der Halle geführt wird.

Mit freundlichen Grüßen aus Neuss

Reiner Gärtke

Benutzer_822

Liebe Kollegen,

meiner Einschätzung nach wird hier zu theoretisch diskutiert: da ist eine Lehrwerkstatt, also Anfänger im Betrieb, eine eigene Abteilung im eigenen Raum. Das ist nach Schutzzielbetrachtung kritisch, weil ich den Brandausbruch in der Halle nicht unbedingt gleich bemerke und mich im Rauch dann schnell verlaufe. Zu jeder Abteilung gehört ein sicherer Zugang zum Treppenraum oder Ausgang ins Freie, vielleicht eine Außentreppe. Der zweite Weg, der auch der tägliche Zugang sein kann, führt aus der Halle hoch. Aber beide ? Das halte ich für falsch, aller Theorie zum Trotz. Eine offene Bühne mit 2 Abgängen, die wirklich offen bleibt, ist schon eher was, weil man den Brandrauch gleich mitbekommt, besser aber auch da ein Fluchtweg ins Freie oder über einen sicheren Treppenraum zusätzlich zum Hallenabgang. mfg Schächer

Benutzer_99

Autor: Alexander Hallo Teilnehmer

Ich möchte die Aussagen von Herrn Schächer unterstützen.

Unabhängig von unerfahrenen Berufsanfängern oder Lehrlingen ist aus meiner Sicht die Rettung aus abgeschlossenen Räumen über ein oder zwei Ausgänge, welche durch eine Halle führen, nicht vertretbar.

Mir fallen da zum Beispiel aufgeständerte Sortierkabienen mit Sichtverbindung in die Halle ein. Diese haben auch zwei offene Treppen in die Halle. Einen Brand habe ich zwar noch nicht erlebt, aber wenn es dort dazu kommen sollte, sind die Sortierer eingeschlossen, da die rechtzeitige Erkennung des Brandes unwarscheinlich ist. Auch die Feuerwehr kann u. U. wegen fehlender Feuerwiderstandsfähigkeit nicht in die Halle rein. Aus der Sortierkabine wird ein Grill.

Eine vergleichbare Situation (ohne Aufständerung), damit meine ich die Rettungswegsicherung aus abgeschlossenen Produktionsräumen über eine Halle, ist im Brandschutzatlas (unter Ziffer 9.2 /5.5.2 auf der Seite 2) dokumentiert und für vertretbar befunden (Bild 1 und 3). Nach meiner Einschätzung haben die Nutzer keine Möglichkeit zur Flucht, wenn ein Brand in der Halle nicht sofort erkannt wird.

Demgegenüber werden im gleichen Beitrag für Meisterbüros (wenige Nutzer) erhöhte Anforderungen gestellt 9.2 / 5.5.8, Seite 6 bis 8). Da aus den Meisterbüros eine Sichtverbindung und ein Fenster nach Außen oder eine Sichtverbindung und eine Internalarmierung geplant wird, hat dieser Meister weit bessere Rettungsmöglichkeiten als die Arbeiter in dem abgeschlossenen Produktionsraum.

Aus meiner Sicht müssen abgeschlossene Produktionsräume einen sicheren Rettungsweg erhalten. Wenn beide Rettungswege durch die Halle führen sind zusätzliche Maßnahmen erforderlich. Nur eine Sichtverbindung reicht nicht aus da z. B. die genannten Sortierer bestimmt keine Zeit haben das Geschehen in der Halle zu beobachten.

Nach meiner Auffassung sind wir nicht nur dem Bauherren verpflichtet so billig wie möglich zu Planen (auch wenn vorgenanntes Problem etwas widersprüchlich unter Ziffer 5 IndBauRL geregelt ist) sondern wir müssen die Schutzziele der Bauordnung umsetzen also hauptsächlich die Sicherung der Rettungswege für die Nutzer.

Mit freundlichen Grüßen

Alexander

Benutzer_433

Hallo Herr Schächer und Herr Alexander,

ich bin überwiegend Ihrer Meinung. Allerdings habe ich mich am Anfang der Diskussion nur um weitere Erläuterungen bemüht, um die Industriebaurichtlinie besser verstehen zu können, denn nur dann kann ich die vorhandenen Vorgaben richtig anwenden und beurteilen (oder eventuell kompensieren).

Trotz der vorhandenen Vorgaben kann ich natürlich nicht meinen Sachverstand ausschalten und muss die vorhandenen Gegebenheiten (z.B. betroffene Personengruppe, vorhandene Brandlasten und resultierende Brandentwicklung / Rauchentwicklung, Sichtverbindung, Branderkennung möglich? , Größe der Halle, etc.) mit beurteilen.

Ich bin aber nicht der Meinung, dass ich grundsätzlich bei einem höhergelegenen abgeschlossenen Raum einen Zugang zum Treppenraum oder Ausgang ins Freie benötige.

In meinem Fall bin ich jetzt allerdings zu dem Entschluss gekommen, dass die Lehrwerkstatt, trotz geringer Brandlasten in der Halle und einer akustischen Alarmierungseinrichtung, bei der vorhandenen Rettungswegsituation nicht zu tolerieren ist.

Vielen Dank für Eure Meinungen!

Mit freundlichen Grüßen aus Neuss

Reiner Gärtke

Benutzer_822

Jedes nicht zu ebener Erde liegende Geschoß ... muß über mindestens e i n e Treppe zugänglich sein (notwendige Treppe). Weitere Treppen sind erforderlich, wenn die Rettung von Menschen nicht auf andere Weise möglich ist. ... Jede notwendige Treppe muß in einem eigenen, durchgehenden Treppenraum liegen (notwendiger Treppenraum).

... soweit der "Normalfall" MBO / HBO §§ 30 und 31 ... alles andere kann sich daraus entwickeln, wenn die Sicherheit gleichwertig nachgewiesen wird.

mfg Schächer